Neuer Digitalchef für Zwilling aus Solingen
Solingen: Kochgeräte-Spezialist Zwilling soll digitaler werden
Der Traditionshersteller profitierte lange von kauffreudigen Chinesen, nun blieb das Wachstum aus. Der Firmenchef stellt Zwilling daher neu auf.
Dieser Text ist zuerst im Handelsblatt erschienen.
Erich Schiffers ist davon überzeugt: „Digitalisierung ist eine Denkhaltung“, sagt der Chef des Messer- und Kochgeschirrherstellers Zwilling aus Solingen. Und er macht klar, dass Transformation zur DNA von Zwilling gehört. „Vom deutschen Unternehmen mit hohem Exportanteil sind wir auf dem Weg zu einem globalen, multikulturellen Unternehmen.“
Die Ursprünge des Unternehmens gehen auf das Jahr 1731 zurück. Damals wurde Zwilling J.A. Henckels als Messermanufaktur gegründet. 1838 entstand die berühmte Schere als erstes richtiges Logo, das in aller Welt ein Markenzeichen ist und sogar in China einen Bekanntheitsgrad von 75 Prozent vorweisen kann. Seit 1870 gehört sie zu Werhahn. 1883 gab es den ersten Shop in New York. Global dachte man schon damals.
Viele Jahre wuchs das Unternehmen stetig und zuweilen in großen Schritten. Marke, Internationalität, Innovationsführerschaft – das war der Dreiklang des Erfolgs. Jahrelang trieben vor allem chinesische Käufer – in der Heimat wie auf ihren Reisen rund um die Welt – die Umsätze bei Zwilling zuverlässig in die Höhe.
Insgesamt gibt es weltweit 500 Shops, 20 Prozent gehören direkt zu Zwilling. Als Flaggschiff gilt einer in Schanghai in Zusammenarbeit mit Cornelia Poletto. Dort können die Kunden nicht nur kaufen und speisen, sondern auch eine Kochschule besuchen.
Doch seit einiger Zeit ist das stetige Wachstum von pro Jahr sieben Prozent keine Bank mehr für Zwilling. „Wir sehen eine deutliche Verlangsamung des Wachstums“, konstatiert Schiffers. Der 54-Jährige ist nicht nur seit mehr als 20 Jahren beim Unternehmen und seit vier Jahren Chef , sondern auch eines von fünf operativ tätigen Familienmitgliedern der mehr als 400 Gesellschafter von Werhahn. Gleich mehrere Entwicklungen zwingen ihn nun zum Umdenken.
Sortiment erweitert
Der Umsatz des Unternehmens mit 658 Millionen Euro im Jahr 2018 lag unter Plan und „spürbar unter dem Vorjahresniveau“, wie es im Geschäftsbericht heißt. Aktuell werden noch drei Viertel des Umsatzes im stationären Handel erwirtschaftet, 27 Prozent bereits online. Insgesamt ist das Sortiment mit etwa 3000 Messern, Kokotten, Töpfen und Pfannen sehr groß. Der einzelne Händler hingegen will oft weniger als 250 Produkte in seinem Laden haben.
Vor 15 Jahren sorgten die Messer für rund 80 Prozent des Umsatzes, nun ist es nur noch etwas mehr als ein Drittel. Etwa die Hälfte der Umsatzerlöse wird mit Kochgeschirr erwirtschaftet. Von der Monomarkenstrategie wird Zwilling nun zu einem Anbieter mit internationalem Sortiment entwickelt.
Hinzu kommt: Früher kauften die Kunden allesamt im Fachhandel, heute tut das nur noch jeder vierte. „Wir müssen noch mehr zum Omni-Channel-Anbieter werden“, sagt Schiffers. Dafür braucht der Chef Verstärkung: Seit Februar 2020 hat Sebastian Labud die neu geschaffene Vorstandsposition des Digitalchefs inne. Labud war bereits für Runners Point, Foot Locker und Eismann tätig.
Auch seine Erfahrungen als Gründer der Food-Start-ups „Don Carne“ und „Food Explorer“ soll dem Traditionsunternehmen zugutekommen. Vorstandssprecher Paolo Dell’ Antonio vom Mutterunternehmen Werhahn hofft, dass Labud die Transformation bei Zwilling „mit seinem Entrepreneur-Spirit weiter beschleunigen wird“.
Denn die Transformation, sie geht noch weiter, erklärt Schiffers, der Neffe von Werhahn-Verwaltungsratschef Anton Werhahn: In den Auslandstöchtern sei allein in den USA noch ein Deutscher Geschäftsführer. Nur noch 14 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet Zwilling hierzulande. Immerhin je ein Viertel in den USA und China. Die Koordinaten in Solingen, sie verändern sich.
Zwilling-Chef Erich Schiffers: „Wir sind auf dem Weg zu einem globale. Rupert Warren, multikulturellen Unternehmen.“
Betritt man die Fertigung der berühmten Messer, verrichten Roboter bereits so manchen Schritt. „Made in Solingen“ ist den Kunden wichtig, made by Mensch dafür nicht durchgängig nötig. Etwa 700 Mitarbeiter arbeiten in Solingen, davon 200 in der Produktion. Die Messer von Miyabi werden in Japan gefertigt, die Kokotten von Staub, in denen schon der Sternekoch Paul Bocuse kochte, kommen aus Frankreich, die Pfannen der Marke Ballarini aus Italien.
Bislang sind rund 75 Prozent des Zwilling-Portfolios Premiumprodukte, 25 Prozent im Mittelpreissegment. Mehr Onlinehandel bedeutet auch niedrigere Preise. Das Problem analysiert Schiffers: „Durch die Plattformen geraten das Premiumgeschäft und die Margen unter Druck.“
Kunden honorieren keine Nischenstrategie
Die Strategie des Managers: Das Sortiment wird erweitert. „Überall dort, wo Menschen Essen genießen, beim Zubereiten, Teilen und Verzehren und ‚To Go‘, wollen wir perfekte Produkte und Erlebnisse erschaffen, nachhaltiger und schöner, künftig auch elektrisch und smart“, sagt Schiffers.
Mit der italienischen Pfannenmarke Ballarini, die rund 40 Prozent preislich unterhalb der Zwilling-Produkte angesiedelt ist, will Schiffers außerdem künftig Produkte aus der Welt der Cucina italiana anbieten, Messer und Küchenhelfer zum Beispiel. Vertrieb und Marketing werden stärker auf den Endkonsumenten direkt ausgerichtet. Studien belegen, dass bereits heute Küchengeräte und -utensilien zu 34 Prozent online gekauft werden, in fünf Jahren werden es bereits 50 Prozent sein. Eine Nischenstrategie sei riskant, und die Kunden honorierten sie auch nicht, sagt Schiffers.
Seit Februar 2020 der Manager auf der neu geschaffenen Vorstandsposition des Digitalchefs: Sebastian Labud. Zwilling
Hinzu kommt: Beherrschend dabei werden die großen Plattformen sein. Amazon, aber auch Tmall machen deutschen Familienunternehmen ordentlich Druck. Das gilt für Deichmann, Miele oder eben auch Zwilling – sie alle profitierten bislang von ihren Marken, nun kommen sie an Tmall einfach nicht vorbei.
Nicht zu vergessen: Auch der stationäre Handel verkauft etwa zehn Prozent seiner Produkte online, bietet sie via Amazon Marketplace an. „Das können wir denen zumindest in Europa nicht verbieten, auch wenn es uns natürlich nicht gefällt.“
Alle diese Trends erfordern ein Umdenken bei Zwilling, das für etwas weniger als ein Drittel des Werhahn-Umsatzes steht. Deshalb hat Schiffers die einzelnen Geschäftsführungsbereiche weniger hierarchisch aufgestellt, man spreche und diskutiere über die Brutalität und Dynamik der Disruptionen auf Augenhöhe. Die Reaktionszeit muss sinken.
Eigener Digital-Campus
Die Disruption bei Zwilling hat einen digitalen Kern, die Umbauten aber sind weitreichender. So hat Zwilling sich bereits vor fast zwei Jahren an dem Start-up Cuciniale beteiligt, das digital vernetzte Kochplatten herstellt. Mit diesem Joint Venture will Zwilling smarte Kochlösungen entwickeln und 2020 unter eigener Marke Sensoren, portable Induktionsplatten und abgestimmte Rezepte-Apps vertreiben. Und die Produktentwicklungen gehen bei Zwilling noch weiter. Toaster und Mixer für Smoothies sind schon entwickelt.
Aber die Strategie birgt Risiken. In diesem Feld trifft Zwilling auf Wettbewerber wie Miele und den Thermomix-Hersteller Vorwerk. Auch Start-ups wie Springlane gehören zu den Konkurrenten – sie punkten mit eigenen Produkten und denken komplett von der Kundenseite her. Das Start-up versammelt Koch- und Grillenthusiasten und bietet ihnen dann auch Produkte an, erklärt Springlane-Gründer Marius Fritzsche. „Wir kommen komplett vom Kunden her, über das Gefühl.“
Der Springlane-Gründer sieht wie Schiffers auch die wachsende Zielgruppe. Ernährungsthemen würden immer wichtiger, gleichzeitig kritischer betrachtet. Dabei hat auch Zwilling sehr früh auf soziale Medien gesetzt, das Unternehmen kooperiert mit mehr als 400 Influencern weltweit, die nach Angaben von Zwilling mehr als 90 Millionen Posts abgesetzt haben. In einem Klub sind bereits mehr als eine Million Kunden registriert.
Um den Digitalisierungsprozess authentisch zu verankern, hat Schiffers die Azubis einbezogen. Sie produzieren Videos zum Thema und betreiben das Employer Branding. Die digitale Denkhaltung will Schiffers auch durch einen Digital-Campus fördern. Dort soll die gesamte Organisation „befähigt werden, digital zu arbeiten und digital zu denken“.