Digitalisierung in Museen wird zur Besucher-Experience
Schlendern und Staunen – Über Mittelstand, Museen und Tonwelten
Die Museen sind geschlossen, die Sehnsucht nach Kultur aber bleibt. Dr. Hans von Seggern, Sales Manager bei TONWELT, sieht in der gegenwärtigen Krise die Chance für einen digitalen Push. Gerade der Mittelstand vermag seine besonderen Stärken, Schnelligkeit, Flexibilität und individuelle Beratung, unter Beweis zu stellen. Von Seggern spricht bei Caponata und Sauerteigbrot mit römischem Olivenöl über Schlendern und Staunen, Loriot und multisensorische Erfahrungen.
Die Museen sind geschlossen. Dr. Hans von Seggern, Sales Manager bei Tonwelt, ist eine Welt ohne Museen vorstellbar? Entwöhnen wir uns? Gewöhnen wir uns das Schlendern durch Museen, das Staunen vor Bildern und Skulpturen ab?
Eine Welt ohne Museen ist vorstellbar, aber sinnlos, wie Loriot gesagt hätte. Museen erfüllen wichtige Aufgaben, vergleichbar mit Schulen und Universitäten, die wir ebenso brauchen – auch wenn wir uns in einer Pandemie befinden, deren Ende noch nicht absehbar ist. Museen sind die Hüter unseres kulturellen Erbes, und nirgendwo sonst können wir so viel über dieses lernen: Ihre wichtigsten Aufgaben sind das Sammeln und Konservieren historischer Objekte, die Erforschung der Geschichte eben dieser Objekte und ganzer Sammlungen sowie des Kontextes in denen sie entstanden. Und last not least die Vermittlung dieses akkumulierten Wissens an die Besucher*innen. Die Vermittlungsarbeit kann durch speziell geschultes Personal in Führungen und Workshops erfolgen oder durch kundig konzipierte Audioguides, Multimediaguides und Apps. So können Sie Ihren Rundgang durch das Ernst Ludwig-Kirchner-Museum Davos erweitern, indem Sie mithilfe einer App Rundgänge um Davos machen sowie durch die Stadt, in der der Künstler vor seinem Exil lebte: Berlin.
Sehen Sie in der Corona-Zeit eine Chance für einen digitalen Push einer doch eher konservativen Branche?
Dieser „digitale Push“ ist sofort spürbar geworden, nachdem wir alle im März 2020 von einem radikalen Shutdown überrascht wurden. Nach einer kurzen Schockstarre gingen die Museen überwiegend über die Social Media in die Offensive und zeigten der Öffentlichkeit: Wir sind noch da! – über Instagram, Twitter, Facebook & Co. Bei uns wiederum häuften sich die Anfragen nach Apps und virtuellen Touren. Dadurch werden Sammlungen und Mitarbeiter*innen weltweit sichtbar. Dennoch lassen sich Bildungsangebote im Internet nicht vergleichen mit einem Besuch vor Ort. Der Unterschied ist vergleichbar mit dem Anhören eines Klavier- oder Orchesterkonzerts auf dem Bluetooth-Lautsprecher zuhause und dem Besuch der Philharmonie. Das Beste an einem Museum kann und soll durch digitale Angebote zwar unterstützt und gefördert werden, ist aber am Ende des Tages nicht digital „verfügbar“: die ästhetische Erfahrung. Also die Erfahrung im Angesicht eines bewegenden Kunstwerks, dass Sinnlichkeit und Verstand miteinander kommunizieren. Dies ist der Grund, warum das Schlendern und Staunen, von dem Sie sprechen, so unverzichtbar ist. Wenn Sie das „konservativ“ nennen mögen, dann: Bitte!
Wie hat sich die digitale Transformation der letzten Jahre gestaltet?
Die Planung von Ausstellungen hat sich in den letzten Jahren tatsächlich grundlegend verändert. Digitale Angebote sind nicht länger nur ein „add on“ zu angestaubten Vitrinen, sondern werden von Beginn an in die Konzeption von Ausstellungen mit einbezogen. So ist das historische Objekt mit seiner „Aura“ vielfach noch das Herz einer Ausstellung, jedoch werden multimediale Komponenten wie interaktive Touchtables und über Gesten steuerbare Screens als zeitgemäße Instrumente wahrgenommen, um die Besucher*innen zu involvieren und an komplexe Themata heranzuführen – schauen Sie hierzu mal in die aktuelle Impressionismus-Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart hinein, wenn die Situation es wieder zulässt. Unsere neuen Multimediaguide-Systeme leisten in diesem Zusammenhang viel mehr als herkömmliche Audioguides. Sie eröffnen den Museen die Möglichkeit, die Mediensteuerung in die Hände der Besucher*innen zu legen. Das bedeutet, die Besucher*innen in die Lage zu versetzen, ihren Rundgang nach eigenen Interessen und Bedürfnissen „maßzuschneidern“.
Sehen Sie diese Entwicklung als Chance auch für mittelständische Unternehmen?
Das ist definitiv eine große Chance, da die Museen von der Expertise mittelständischer Unternehmen auf vielen Ebenen profitieren können: Die Beratung durch mittelständische Unternehmen ist so individuell, wie es sich die Museen wünschen. Konzepte für Museums-Medien werden von Ausstellung zu Ausstellung in enger Rücksprache mit den Häusern entwickelt. Dies gilt für die Entwicklung der Inhalte wie für die Medienplanung insgesamt. Mittelständische Unternehmen erweisen sich hier immer wieder als besonders flexibel und schnell.
Was ist derzeit State-of-the-art in der Digitalisierung der Museen?
Die Interaktivität digitaler Medien hat neue Chancen der Partizipation eröffnet. Ein gutes Beispiel hierfür ist die „Cité du Vin“ – eine Wein-Erlebniswelt, wo es gelungen ist, das im Rahmen von Ausstellungen eher abstrakte Thema „Wein“ einem großen Publikum medial zu erschließen. Die Besucher*innen erhalten hierzu am Eingang einen Multimediaguide, der es ihnen erlaubt, gezielt die je nach eigenem Interesse und Hintergrund spannendsten Inhalte aufzurufen und zu erleben. Film-Material über Weinproduktion, Interviews mit Winzern wurden von uns in 8 Sprachen synchronisiert und können in der gewünschten Sprache auf dem Multimediaguide verfolgt werden. Es gibt Riech-Stationen mit einem interaktiven Quiz, und die Besucher*innen können die sie interessierenden Inhalte „liken“ und zuhause über die Webseite der „Cité du Vin“ erneut einsehen. Wer mag, kann über den Multimediaguide seine Email-Adresse eingeben und so mit der „Cité du Vin“ in Kontakt bleiben. Eine weitere Bedeutung der Digitalisierung liegt in der Schaffung barrierefreier Zugänge zu Bildung. So gehören heute audiodeskriptive Führungen, Audioführungen in Leichter Sprache sowie Führungen in Gebärdensprache zum festen Repertoire des Besucherangebots. Schauen Sie mal in die App des Kunstmuseums Bonn hinein.
Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie für Tonwelt? Cutting-edge products?
Neben den gewohnten hochwertigen Inhalten in allen gewünschten Sprachen liegt ein Schwerpunkt auf der Verzahnung von Multimediaguides mit den fix installierten Ausstellungsmedien. Wir haben hierzu beispielsweise ein System entwickelt, das es Besucher*innen erlaubt, in ihrer gewünschten Sprache Filmen zu folgen, die über Touchtables aufgerufen werden können. Es spielt hierbei weder ein Rolle, wie viele Filme gleichzeitig auf dem jeweiligen Touchtable gestartet werden, noch in welcher Sprache der Film auf dem Screen gedreht wurde – unsere Mediaguide syncen sich automatisch auf den richtigen Film in der gewünschten Sprache ein. Ebenso einzigartig ist unser Content Management System, das in Form einer Multiplattform-Lösung konzipiert ist: Mit diesem System ist es möglich, Inhalte auf Audio- oder Multimediaguides zu deployen ebenso aber dieselben Inhalte als App im AppStore bzw. GooglePlay verfügbar zu machen. Die Besucher*innen können so selbst entscheiden, ob sie einen Mediaguide an der Kasse zubuchen oder ob sie lieber über ihr eigenes Smartphone die Inhalte der Führung herunterladen. Die Kommerzialisierung dieser online verfügbaren Inhalte steht dabei noch ganz am Anfang und ist zweifellos ein Trend der nächsten Jahre.
Welche Impulse erwarten Sie von der Wirtschaftspolitik?
Die Bundesregierung hat in diesem Krisenjahr 2020 bereits nach Kräften Impulse zur Stärkung von Unternehmen und Selbständigen gegeben. Hierzu wurden Milliarden bereitgestellt und ausgeschüttet, gleichzeitig Steuern gesenkt. Das ist ebenso notwendig wie bewundernswert – wo aber der Staat an seine Grenzen kommt, werden irgendwann Transferleistungen von denjenigen fällig, die von der Krise profitieren. Dies sind Online-Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google & Co. Weil die können ja auch mal Steuern zahlen