„Von unseren Start-ups kann sich der deutsche Mittelstand etwas abschauen”
Interview Dennis Lotter
Ein Connected Business setzt voraus, dass sich Unternehmen untereinander vernetzen und in einem Plattform-Ökosystem miteinander kooperieren. Auf der DIGITAL X geben Expert*innen der Hochschule Fresenius dazu Impulse in einem Science Check. Wir sprachen mit Dennis Lotter, Professor für Business Development, Entrepreneurship & Gründung.
Professor Lotter, Ihr Team wird sich auf der DIGITAL X in einem Science Check mit dem Megatrend Connected Business beschäftigen. Was können die Besucher*innen dort erwarten?
Wir haben unseren kurzen Impuls unter das Motto „Jenseits der Technologie“ gestellt und widmen uns dem Thema Plattform-Ökonomie. Wen das interessiert, dem werden wir in 30 kompakten Minuten anschauliche Beispiele aus der Praxis vorstellen.
Auf der DIGITAL X spielt Technologie eine große Rolle – warum ist Ihr Motto „Jenseits der Technologie“?
Technologie ist der Befähiger all der Lösungen, die uns auf der Messe gezeigt werden. Aber Technologie allein ist natürlich nicht ausreichend. Wir von der Hochschule Fresenius betrachten das Thema Connected Business aus der Wirtschaftsperspektive und sagen: In Zukunft wird es vor allem darum gehen, ein Plattform-Ökosystem zu etablieren und weiterzuentwickeln.
Wer wird bei Ihrem Science Check welche Rolle übernehmen?
Moderieren wird das Panel die Wirtschaftsjournalistin Maja Brankovic. Sie ist die Kuratorin des Megatrends Connected Business. Meine Kollegin Antje Ries, Head of Business Development, wird einen Einblick geben, welche Bedeutung ein vernetztes Business für die heutige Geschäftswelt hat. Ich beleuchte das Thema aus wissenschaftlicher Sicht: Was ist neben Technologie noch wichtig, damit ein Connected Business funktionieren kann.
Und das wäre? Können sie uns schon ein paar Stichpunkte nennen?
Eine Plattform-Ökonomie! Wir haben dazu drei Prinzipien aufgestellt:
- Als Anbieter sollte ich komplementäre Kompetenzen miteinander vernetzen, damit sie eine kundenzentrierte Wertschöpfung ermöglichen. Heißt: die verschiedenen Stärken der beteiligten Unternehmen so orchestrieren, dass sie einen Nutzen für den Kunden generieren. Wie die Telekom das zum Beispiel mit ihrem Partnerprogramm macht.
- Außerdem muss es klare Spielregeln geben, eine gemeinsame Definition von Rollenverständnis und Werten. Wenn Akteure ausscheren, kann das Ökosystem implodieren. Im Science Check werde ich da ein prominentes Negativbeispiel aufzeigen, das vor allem kleine Onlineshops kennen werden ...
- Und ich muss Vertrauen fördern. Vor allem, wenn sich die beteiligten Unternehmen in einer Koopetition befinden, also miteinander kooperieren, aber gleichzeitig auch im Wettbewerb stehen.
Bringen Sie ein konkretes Beispiel mit zum Science Check?
Die Gründer des Start-ups Spiritory werden mit auf der Bühne sein. Wir betreuen Spiritory bereits seit zwei Jahren in unserem Accelerator-Programm. Sie betreiben eine Plattform, über die Privatpersonen und Händler sicher hochwertige Spirituosen handeln können. Zudem können sie den Renditeverlauf verfolgen, wie bei einer Aktie. Oder wie bei Chrono24, dem Marktplatz für Luxusuhren. Denn hier geht es nicht um Whisky aus dem Supermarkt, sondern um einzelne Flaschen im Wert von 500 bis 500.000 Euro. Das Ziel ist es, alle Akteure – also Privatpersonen, Händler und Destillerien – miteinander zu vernetzen. Was die Besucher*innen von den Gründern exemplarisch erfahren: Wie baue ich eine solche Plattform auf? Was brauche ich jenseits der Technologie? Wie schaffe ich Vertrauen unter allen Beteiligten? Wie läuft eine Echtheitsprüfung, wie die Zahlungsabwicklung, und wie kommt die Flasche sicher von Köln nach Shanghai?
Was können etablierte Unternehmen noch von einem Start-up lernen?
Vor allem Familienbetriebe und Traditionsunternehmen tun sich eher schwer mit Ökosystemen. Sie haben bisher meist „Closed Innovation“ betrieben; aus ihren vertraulichen, sensiblen Prozessen durfte nichts nach außen dringen. Aber wenn es keine Zusammenarbeit gibt, verlierst du Tempo und kommst der Dynamik des Marktes irgendwann nicht mehr hinterher. Du kann keine neuen Wachstumsmärkte erschließen, weil du die Digitalisierungskompetenz nicht allein auf die Beine stellen kannst. Es stellt sich die Frage: Bauen wir uns das in mühevoller Kleinarbeit selbst auf – oder gehen wir als Partner in ein Ökosystem? Dort kann ich wesentlich schneller neue Trends realisieren, als wenn ich alles selbst entwickle.
Hinkt da die deutsche Wirtschaft hinterher?
Wir stehen uns oft selbst im Weg. Das ist eine Mentalitätsfrage: Der klassische deutsche Mittelstand zeichnet sich durch starke Führungspersönlichkeiten aus und baut auf Autonomie. Nach dem Motto: Innovation muss von uns kommen und unseren Qualitätsstandards entsprechen. Der Fokus lag jahrzehntelang auf Exzellenz – und hat zum erfolgreichen Label „Made in Germany“ geführt. Aber diese hohe Qualität geht jetzt, in einer veränderten Welt, nicht mehr einher mit Geschwindigkeit. Es gewinnt nicht mehr der mit den stärksten Muskeln – also der Kapitalausstattung –, sondern der Faktor Zeit spielt eine bedeutende Rolle. Allein bietet man am Ende zwar die gewohnt hohe Qualität, aber andere sind wesentlich schneller am Markt. Dieses Dilemma lässt sich am besten mit Partnern lösen, nicht im Alleingang. Hier kann man sich von Start-ups etwas abschauen. Dino meets Einhorn, sozusagen.
Professor Lotter, vielen Dank für das Gespräch!