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Ein Jahr Pandemie – und keinen Schritt weiter

Digitalität und Bildung: „Wir haben Jahrzehnte verpennt“

Ein Interview mit dem digitalen Bildungsexperten Daniel Jung

Digital X Redaktion: Ein Jahr Pandemie – wie ist deine Bilanz zur digitalen Bildung?

Daniel Jung: Es hat sich bestätigt, dass wir Jahrzehnte verpennt haben, grundstrukturell darüber nachzudenken, wie die Zukunft von Lernen und Lehren im Zuge der Digitalisierung aussehen soll.

Ein banales Beispiel: Aktuell kann ein Unterricht, der als 1:30-Modell abgehalten wird, nicht auf einen Call via Zoom oder Teams projiziert werden. Der Grund dafür ist, dass sowohl Lernende wie auch viele Lehrkräfte mit dem Handling überfordert sind. Genauso verhält es sich auch beim Hybridlernen, welches teils vor Ort, teils online stattfindet. Um beides sinnvoll koordinieren zu können, ist ein Konzept nötig, welches definiert, wie das Ganze in Zukunft aussehen soll.

Zum digitalen Lernen gehört inzwischen weit mehr dazu als Schülern und Lehrern digitale Devices und schnelles Internet zur Verfügung zu stellen. Der Mythos, jegliches Wissen und jegliche Lehrinhalte seien im Internet vorhanden, mag zwar stimmen, doch muss gewährleistet werden, dass dieses Wissen zum einen auch dort ankommt, wo es hin soll, und zum anderen in der Form, in der es benötigt wird. Dazu braucht es Tools, aber auch Möglichkeiten, das Wissen vorab zu prüfen und während des Lernens Rückfragen stellen zu können. Am Ende nützt der beste Inhalt nichts, wenn niemand weiß, wie er damit umgehen soll. Hier mangelt es zurzeit einfach noch an einem konzeptionellen Plan, ebenso wie an der Umsetzung.

Digital X Redaktion: Es gibt sicherlich auch Abstufungen zwischen Hochschulen und Schulen – jedoch ist auf beiden Seiten spürbar, dass in Sachen digitaler Wissenserwerb weder ein didaktisches Konzept vorliegt, noch die technologische Basis dafür stimmt. Deine Einschätzung?

Daniel Jung: Dem stimme ich zu. Es gibt Pilotprojekte und engagierte Schulen, die bereits vor in eigene Serverstrukturen und Onlineumgebungen investiert haben. Diese haben den Wechsel entsprechend gut gemeistert, denn hier konnte in den letzten Jahren digitales Lernen via Videoplattformen, Uploads von Dokumenten und gemeinsames Arbeiten via Hybrid ausreichend getestet werden. Doch dies ist bei Weitem kein Standard. Die breite Masse hat diesen Schritt leider verpasst.

Schaue ich mir die Companies der Zukunft an, fällt hier jedoch auf, dass nicht nur das Lernsystem weitergedacht werden muss, sondern ebenso die gegebene Infrastruktur. Smart Working- und Coworking Spaces sind in großen internationalen Companies inzwischen keine Seltenheit mehr. Vergleicht man diese Konzepte mit hiesigen Schul- und Lehreinrichtungen, dann tun sich hier schnell ziemlich große Abgründe auf, die deutlich zeigen, dass immer noch viel zu kurzfristig gedacht wird − und es eben kein ganzheitliches Konzept für das Lernen der Zukunft gibt.

Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist nämlich nicht nur, ob alle Lerninhalte online zur Verfügung stehen − sondern eben auch, ob für alle Lernenden und Lehrenden überhaupt die notwendigen Devices und Gegebenheiten zur Umsetzung zur Verfügung stehen. Hier bringt es meiner Meinung nach nicht viel, lediglich die besten Tablets mit der besten Software zu kaufen – hier sollte zuerst einmal die entsprechende Infrastruktur dazu geschaffen werden. Aber dazu braucht es Mut, gegebene Strukturen zu durchbrechen und diese nachhaltig zu verändern.

Digital X Redaktion: Thema Datenschutz:

Zoom & Co. erfüllen ja leider nach wie vor (noch) nicht alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen, um von jeder Institution sorglos genutzt werden zu können. Wieso ist es in Deutschland aktuell noch so schwierig, hier ein entsprechend sicheres & smartes Tool anbieten zu können, was alle Datenschutzrichtlinien erfüllt?

Daniel Jung: Diese Frage stelle ich mir seit Jahren, denn eigentlich sollte Deutschland als eine der führenden Wirtschaftsnationen im Jahr 2021 die Möglichkeit haben, die notwendigen Tools entwickeln und anbieten zu können. Es gibt inzwischen zahlreiche Start-Ups, Jungunternehmer und Experten im digitalen Bereich, die bereit sind, hier umzudenken und neue Wege zu gehen – aber auch diese Ideen umzusetzen. Das Problem ist das bürokratische Konstrukt, was zwischen der Idee und der Ausführung steht. Wir scheitern immer wieder an Statuten, Mechanismen und Vorgaben.

Wenn ein Umdenken im Bezug auf die Bereitstellung von Inhalten stattfinden muss, dann muss gleichermaßen ein Umdenken der bestehenden Prozesse – aber auch der Inhalte selbst – stattfinden. Das Know-How dazu ist ja vorhanden − doch sollte dieses dann auch genutzt werden (dürfen).

Digital X Redaktion: Du sprichst von Umdenken − Inwieweit ist dies deiner Einschätzung nach wichtig für die Zukunft, insbesondere im Hinblick auf die „neue Jobwelt“?

Daniel Jung: Das Hinterfragen von bestehenden Systemen, Prozessen – aber auch von Qualifizierungen − ist insbesondere deswegen wichtig, weil heutzutage theoretisch jeder alles lernen und das Erlernte weitergeben kann. Altbewährte Zertifikate, Zeugnisse & Co. sind schon lange kein Garant mehr für Qualität. Ebenso verhält es sich mit Prozessen, die „ja immer schon so gewesen sind“. Das bedeutet noch lange nicht, dass sie auch heute noch Qualität gewährleisten. Veränderungen geschehen heutzutage nahezu im Minutentakt. Dieser Schnelllebigkeit kommen wir nicht nach, indem wir uns auf Bewährtes berufen, sondern indem wir uns der Veränderung anpassen und flexibel agieren. Stichwort „Crowdsourcing“. Nur weil etwas „immer gut war“, heißt das nicht, dass es auch heute noch gut ist.

Ein Beispiel:

Stell‘ dir vor, du hast zwei Bewerber. Der eine bringt ein gutes Abitur mit hohen Punktzahlen in den Abschlussfächern Biologie und Mathematik mit − der andere hat einen eigenen Youtube-Channel, für den er selbst Videos dreht, diese schneidet und im Anschluss noch die Postproduktion übernimmt. In der heutigen „neuen Jobwelt“ bekommt der zweite mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit den Job.

Digital X Redaktion: Diese These zeigt sich ja auch am Beispiel der App „Clubhouse“. Hier sprechen unter anderem Menschen miteinander, die nach gerade einmal 8-12 Wochen anhand ihrer dort gesammelten Erfahrungen inzwischen zurecht als „Experten“ bezeichnet werden können.

Daniel Jung: Und es zeigt sich auch das zuvor erwähnte Problem: die Basis, um solch eine Plattform zu schaffen, war bereits gegeben. Und dennoch schafft es statt eines deutschen oder europäischen Unternehmens wieder ein amerikanischen Start-Up, innerhalb von kürzester Zeit ein audiobasiertes Tool zu entwickeln und online Räume zu schaffen, in denen man intuitiv zusammenkommen und sich zu diversen Themen fachlich austauschen kann. Das ist für uns ein ziemlicher Schlag ins Gesicht, zeigt jedoch auch, dass in dieser Thematik dringender Optimierungsbedarf besteht.