Von der Skizze zum Modell: 3D Druck in der Industrie
Wie 3D-Druck seine Wirkung im Unternehmen entfalten kann
Seit 27 Jahren ist der gelernte Modellbauermeister Antonius Köster mit seinem gleichnamigen Unternehmen als Entwickler, Produzent sowie beratend in der additiven Fertigung unterwegs – und zwar material- und branchenübergreifend. In einem Interview mit Lars Immerthal gibt er einen Einblick in diese Welt und spricht darüber, welche Bedeutung der 3-D-Druck für die digitale Fertigung zunehmend gewinnt.
Mit welcher Aufgabenstellung kommen welche Kunden in der Regel auf Sie zu?
Als Erstes möchte ich diejenigen nennen, die additive Fertigung als neue Technologie einführen und als Werkzeug nutzen möchten. Die benötigen ein 3-D-Systemhaus, das sie mit der richtigen Technologie ausstattet und entsprechend schult.
Und natürlich gibt es auch sehr erfahrene Kunden, für die wir die letzte Hoffnung sind, da sie eine Aufgabenstellung mitbringen, die sie mit ihrem eigenen Werkzeug nicht lösen können.
Am Ende geht es nicht einfach um den 3-D-Druck als solchen, sondern um digitale Fertigung, bei der der Kunde in Lage versetzt wird, die notwendigen Daten zu generieren.
Wir haben z.B. die Struktur von Schiefer auf die Porzellanserie eines unserer Kunden übertragen und dann mithilfe des 3-D-Drucks die Textur praktisch überprüft und geschaut, wie diese aussieht. Danach wurde eine Serienform per CNC-Fertigung hergestellt. 3-D-Druck ist also eine zusätzliche Methode der digitalen Fertigung, die man nicht losgelöst von dieser betrachten darf.
Was sind die üblichen Stolpersteine, wenn man sich zum ersten Mal damit auseinandersetzt?
Oftmals haben Kunden erste Infos in den sozialen Medien gesammelt. Einige wundern sich dann, dass Sie ihre Vorstellungen nicht so einfach realisieren können. Dabei sind auch Kunden, die sich schon einen 3-D-Drucker gekauft haben, aber nicht wirklich wissen, wie sie die nötigen 3-D-Daten generieren sollen, um überhaupt ein Objekt drucken zu können.
Welche Voraussetzungen sollte ein Unternehmen erfüllen, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Ich brauche das geeignete Personal bzw. ein Team, das sich in die digitale Fertigung reindenken kann. Das muss dann auch in der Lage sein, eine Vision zu erarbeiten, die aufzeigt, welche Möglichkeiten die Technologie dem Unternehmen bietet und welchen Mehrwert sie für die Kunden schafft.
Und wie bei jeder Technologie, die ich in das Unternehmen einbringe, müssen alle Beteiligten die Komfortzone verlassen. Es muss vor allem eine ganz andere Kultur der Kommunikation entstehen. Denn klassische Hierarchien funktionieren in so einem Umfeld nicht.
Ein großes Thema dabei ist natürlich die heutige Ausbildung. Ich habe ja noch ein Handwerk gelernt und auch als Handwerker gearbeitet. Ich habe CNC-Maschinen programmiert, per 2-D und 3-D-CAD, und habe dann 1990 mit dem 3-D-Druck begonnen. Für mich hat sich alles kontinuierlich entwickelt und ich konnte mir daher viele Fertigungsverfahren aneignen, die man für den 3-D-Druck heute noch benötigt. Das ist für Digital Natives durchaus eine Herausforderung, da sie diese Erfahrung nicht haben.
Antonius Köster mit diversen 3-D-Modellen
Wie sollte denn ein Team für Sie idealerweise aussehen?
Hier kommt es dann auf eine gute Mischung der Expertise im Team an: auf handwerkliche oder technische Expertise einerseits und eine Affinität zur Digitalisierung andererseits. Dabei wird manchmal auch ein Generationenproblem deutlich: hier die Digital Natives, die nicht immer die Materialkenntnisse haben und sich bei der Auslegung oder Toleranzen verschätzen, dort die erfahrenen Handwerker oder Ingenieure, deren Expertise es in die digitalen Fertigungsprozesse zu übersetzen gilt. Das wäre ein Arbeitsmodell, das die jeweiligen Stärken zusammenbringt und koordiniert.
Welche Wirkung erzielt ein Unternehmen mit der Einführung von Technologien der additiven Fertigung?
In einem ersten Schritt werden Prozesse durch die additive Fertigung effizienter. Besonders hervorzuheben ist natürlich der ganze Bereich der Produktentwicklung, der durch additive Fertigung die Realisation von Ideen enorm beschleunigt hat. Dabei kann es sich um einen Prototyp als Diskussionsmodell handeln oder ein vollfunktionierendes Einzelteil, das spezielle Kundenanforderungen erfüllt. Oder eine Lösung, die vorher so nicht möglich war oder für die sich ein normales Werkzeug gar nicht gelohnt hätte. Die Wertschöpfung liegt dann nicht einfach im 3-D-Druck, sondern in der Produktivität und Leistungsfähigkeit der Bauteile.
Darüber hinaus bekomme ich in einem sehr frühen Stadium von Mitarbeitern oder Kunden eine sehr schnelle Rückmeldung zu einer konkretisierten Idee, ohne dass diese in der Lage sein müssen, eine technische Zeichnung zu lesen oder sich eine spezifische Funktion vorzustellen. Am Ende sehen wir nicht einfach effizientere Prozesse und eine höhere Produktivität, sondern auch ein stark verändertes Geschäftsmodell.
Gibt es dafür ein Beispiel?
Ja, unsere Kunden aus der Medizintechnik: Sie haben am Anfang die Technologie als neues Werkzeug genutzt, z.B. um medizinische Anschauungsmodelle abzubilden, die man kaum von einem Plastinat unterscheiden kann.
Das Ganze geht aber noch viel weiter: Unsere Kunden haben früher den Bedarfsträgern bzw. Krankenhäusern Standardimplantate geliefert, bei denen es immer nur um den Preis ging. Durch den 3-D-Druck hat sich die Situation stark verändert. Denn jetzt übernehmen unsere Kunden – ähnlich wie ein Bauingenieur oder technischer Zeichner – die OP-Planung für die Mediziner.
In der Planung stimmen sich unsere Kunden mit dem Behandler über die richtige Vorgehensweise ab und liefern daraufhin individuelle Implantate mit den entsprechenden Schablonen und Modellen, die für eine weitere Abstimmung zwischen den Behandlern benötigt werden. Dabei werden z.B. inzwischen geschätzte 60% der individuellen Implantate für Kopf-OPs von unseren Kunden geliefert. Hier wird also nicht einfach ein individuelleres Produkt entwickelt, sondern eine ganz neue und schnellere Methode der Wertschöpfung, die mit kürzerer OP-Dauer, weniger Blutverlust und einem besser vorhersagbaren Ergebnis für den Patienten einhergeht.
Haptisches Eingabegerät (links) und 3-D-Scanner (rechts). Das haptische Eingabegerät gibt ein taktiles Feedback der 3-D-Daten und Objekten auf dem Bildschirm. Das dient der Optimierung des Workflows in der Forschung und Konstruktion.
Nachhaltigkeit spielt bei immer mehr Unternehmen eine Rolle. Welche Möglichkeiten sind hier mit der additiven Fertigung verbunden?
Wir sind in der Lage, Konstruktionen umzusetzen, die so früher nicht möglich waren, z.B. Wärmetauscher, bionische Oberflächen oder Leichtgewichtkonstruktionen, die auf Strukturoptimierungsalgorithmen basieren. Mittlerweile geht es oft auch darum, schlichtweg Gewicht und damit den Energieverbrauch zu reduzieren.
Wir haben die Möglichkeit zu simulieren und uns stehen immer mehr neue Werkstoffe wie z.B. Keramik oder Biotinte zur Verfügung. Heute können wir bereits relativ kleine Stückzahlen in einem Material umsetzen und sofort testen, ausprobieren und optimieren. Und wir setzen insbesondere bei der Produktentwicklung deutlich weniger Material ein. Hier wurden früher Unmengen an Iterationen benötigt, bevor klar war, wie das Produkt auszusehen hat.
Wir haben z.B. mithilfe von 3-D-Druck Greifer für einen Kunden aus der Lebensmittelindustrie designt, die z.B. Schokoladenfiguren aus den Formen herausnehmen und der Verpackung zuführen. Das macht unser Kunde jetzt mit deutlich geringerem Energieverbrauch und mit weniger Druck, um die Teile zu greifen. Darüber hinaus haben wir deutlich kleinere Greifersysteme mit Toleranzen konstruiert, die so vorher nicht möglich waren. Und weil die Greifer kleiner sind, kann eine Maschine doppelt so viele Teile in demselben Formenbereich herstellen. Also, Verdopplung der Produktivität sowie Reduzierung der Verlustteile und Ausschüsse.
Spielt der Gedanke an die Entsorgung hier auch schon eine Rolle?
Entsorgung ist beim 3-D-Druck nicht immer eingeplant. Hier gibt es noch Spielraum nach oben. Da aber oft nur mit „einem“ Material gearbeitet wird, ist die Entsorgung häufig deutlich einfacher, insbesondere gegenüber Produkten, die aus vielen unterschiedlichen Werkstoffen hergestellt wurden und erst getrennt werden müssen.
Welche Branche spielt vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit eine besondere Rolle?
Sicherlich die Baubranche. Bei der Technologie der additiven Fertigung handelt es sich in diesem Zusammenhang um eine Art gesteuerte Betonpumpe, die einen Datensatz ausliest und den Beton entsprechend auffährt. Die Kunst dabei ist, den Beton so anzumischen, dass er die statischen Anforderungen erfüllt und sich abbindet, bevor er die Wand heruntertropft. Das erfüllt höchste Ansprüche an Nachhaltigkeit, insbesondere, wenn ich den Lebenszyklus bzw. die Nutzungsdauer von Gebäuden vor dem Hintergrund des „Cradle to Cradle“-Prinzips betrachte, also ihre Entsorgung und einen nachhaltigeren Wiederaufbau gleich mitdenke. 3-D-Druck verändert also nicht nur die Möglichkeiten nachhaltiger Bauweise und Architektur einzelner Häuser, sondern ganzer Städte.
Wir können z.B. Kanäle in die Wände hineinbauen, also Hohlräume schaffen, die isolieren. Wir haben für eine Kaufhauskette Fassadensteine, die ursprünglich aus Beton und Keramik bestanden, rekonstruiert und ein Modell für eine Aluminiumgießerei abgeleitet und optimiert. So haben wir vorgeschlagen, ein Rohr in die neuen Aluminiumsteine einzugießen und diese als Wärmetauscher zu nutzen, also die Fassade so zu hinterlüften, dass sie mit der zirkulierenden Luft als natürliche Klimaanlage wirken kann.
Zu guter Letzt: Wie sehen sie die Zukunft der additiven Fertigung?
Ich höre leider immer noch die gleichen Dinge wie vor 30 Jahren. Als ich 1991 mein erstes gedrucktes Teil in der Hand hielt, gingen meine Kollegen, Mitarbeiter und ich davon aus, dass in Zukunft alles nur noch on demand produziert wird. In den dreißig Jahren seitdem hat sich dann doch nicht so viel getan wie vermutet.
Gibt es dafür eine Erklärung?
Oft waren wir einfach zu früh. 2011 haben wir eine ganze Vollprothese bzw. ein komplettes Gebiss für die Zahntechnik digital erstellt. Zu der Zeit ist kein Zahnarzt in der Lage gewesen, ein Gebiss zu digitalisieren. Damit eine Marktreife möglich wird und wir die richtigen biokompatiblen Materialien erhalten, die alle Eigenschaften erfüllen, muss peu a peu eine ganze Generation Zahnärzte ausgetauscht werden. Manche Technologien kommen also erst mit der nächsten Generation zum Tragen.
Auch stellt unser aktuelles Bildungssystem oft eine Herausforderung dar. Und damit ist nicht einfach die Schul- oder Hochschulbildung gemeint, sondern die Frage, wie wir uns alle auf dem neuesten Stand halten und Neues in unseren Alltag integrieren.
Die Orthopädie als Gesundheitshandwerk ist ein Beispiel für den großen Wandel, der hier stattfindet und in dem versucht wird, nicht nur die Produktivität und Reproduktivität zu steigern, sondern sich auch in der Vermarktung anders aufzustellen.
Ein Beispiel für eine neue Generation von Ärzten findet sich z.B. an der Uniklinik in Basel: Dort gibt es ein 3-D-Druck-Labor, das allen Ärzten zur Verfügung steht. Da werden die Bedarfsträger auch beraten, z.B. zu der Frage, welches Verfahren und welches Material für welchen Zweck adäquat sind. Bei einer Schulung von uns habe ich dann gesehen, wie spannend der Austausch zwischen Berufsgruppen wie z.B. Medizintechnikern und Chirurgen sein kann und wie neue Arbeitsmodelle entstehen.