Background Image

Digitale Souveränität: Wie Europa unabhängig wird

Ohne Cloud wären viele Unternehmen und Institutionen längst nicht mehr arbeitsfähig. Mit steigenden Anforderungen und in Zeiten politischer Unsicherheit wird eine Frage immer wichtiger: Wie wird Europa digital unabhängig? Ferri Abolhassan, CEO von T-Systems und Vorstandsmitglied Deutsche Telekom, im Interview über technische und rechtliche Herausforderungen, europäische Superclouds – und wie viel Souveränität sich wirklich lohnt.

11.08.2025
Lesezeit: 4 min
Themen & Technologien

Herr Abolhassan, sowohl Unternehmen als auch Politik fordern immer mehr digitale Souveränität. Aber was bedeutet das eigentlich?

Digitale Souveränität ist für mich die zentrale Voraussetzung für wirtschaftliche Stärke und Innovationsfähigkeit Europas. Sie bedeutet, dass wir als Unternehmen, als Gesellschaft und als Staat wieder Herr unserer Technologien und Daten sind. Das ist keine abstrakte Debatte, sondern betrifft konkret die Kontrolle über Cloud-Infrastruktur, KI-Anwendungen und die gesamte Wertschöpfung. Bei T-Systems rücken wir die digitale Selbstbestimmung ins Zentrum: Volle Entscheidungsfreiheit, Schutz sensibler Daten und Unabhängigkeit von internationalen Vorgaben. Nur so können wir Europas Werte im digitalen Raum sichern und ein nachhaltiges Wachstum ermöglichen.

Was zeichnet eine souveräne Cloud oder einen souveränen Service aus?

Digitale Souveränität lässt sich am besten in drei Dimensionen beschreiben: Datensouveränität, operative Souveränität und technologische Souveränität. Datensouveränität bedeutet, die vollständige Kontrolle über die eigenen Daten zu haben. Speicherung und Verarbeitung der Daten unterliegen dem Rechtsschutz des Landes, in dem das Unternehmen zuhause ist – zum Beispiel der DSGVO. Operative Souveränität ist das Ausmaß, in dem ein Unternehmen oder eine Institution Kontrolle über den Betrieb der Cloud hat. Sprich, bin ich unabhängig, was die Steuerung betrieblicher Prozesse angeht. Und technologische Souveränität bedeutet die Kontrolle über Design, Entwicklung und den Einsatz kritischer Technologien. Die höchste Souveränität habe ich, wenn ich alle drei Dimensionen umsetzen kann. Aber das ist oft gar nicht nötig. Was genau eine souveräne Cloud leisten muss, hängt von den spezifischen Anforderungen eines Unternehmens ab.

Wie können diese unterschiedlichen Anforderungen an digitale Souveränität aussehen?

Die Bandbreite ist enorm. Der Einzelhandel braucht maximale Skalierbarkeit und Agilität, Großindustrien und der Public Bereich hingegen höchste Sicherheitsstandards und Datenschutz. Unsere Multicloud-Strategie unter dem Label der T Cloud bietet individuelle, skalierbare Cloud-Angebote und schafft Wahlfreiheit. Damit fängt Souveränität an. Unsere Kunden können Hyperscaler-Leistungen mit hochsicheren, souveränen Cloud-Angeboten aus unserem Haus kombinieren – je nach Branche und individuellem Bedarf. Für regulierte Sektoren etwa bieten wir mit der Open Sovereign Cloud und unserer Sicherheitsinfrastruktur nach BSI C5 und europäischen Normen den Goldstandard für Souveränität. Letztendlich sind die Anforderungen an das Souveränitätslevel aber immer individuell und verlangen maßgeschneiderte Antworten.

Warum so viele unterschiedliche Lösungen? Wäre ein One-size-fits-all-Ansatz nicht günstiger?

Jede Branche, jedes Unternehmen und jedes Land hat eigene Herausforderungen und gesetzliche Anforderungen. Hinzu kommt: Mit steigender Souveränität nehmen Funktionalität und Skalierbarkeit einer Cloud ab. Gleichzeitig steigen die Kosten. Darum sind individuelle, maßgeschneiderte Lösungen für Unternehmen das Beste. So viel Sicherheit und Souveränität wie nötig, so viel Flexibilität und Skalierbarkeit wie möglich. Mit dem Multi-Cloud-Ansatz können wir die unterschiedlichen Anforderungen unserer Kunden an digitale Souveränität optimal abbilden.

Welche Rollen spielen Initiativen wie GAIA-X oder 8ra bei Streben nach mehr Souveränität?

Initiativen wie GAIA-X oder 8ra sind wichtige Meilensteine auf unserem Weg zu einer souveränen, leistungsfähigen digitalen Infrastruktur in Europa. Sie setzen den Rahmen für Transparenz, Datenhoheit und Interoperabilität und verankern den Schutz europäischer Daten und Werte. GAIA-X will die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für ein dezentrales Cloud-Ökosystem mit einem strengen Regelwerk für Datensouveränität schaffen. 8ra hat sich eine anbieterunabhängige, offene und vernetzte Cloud-Edge-Infrastruktur zum Ziel gesetzt – eine Art europäische „Super-Cloud“. Daher sind wir als Telekom und T-Systems auch in beiden Projekten aktiv.

Bis diese „Super-Cloud“ startklar ist, wird noch einige Zeit vergehen. Was empfehlen Sie einem CIO, der jetzt digital unabhängig werden will?

Unternehmen tun gut daran, sich möglichst breit aufzustellen. Das ist der Gedanke hinter dem Multi-Cloud-Ansatz: eine Mischung aus kommerziellen Angeboten und souveränen Clouds, die höhere Sicherheit und mehr Autonomie über Daten, Technologie und Infrastruktur bieten. Dabei geht die Tendenz in den Anfragen, die uns zu solchen Lösungen erreichen, gerade bei global agierenden Unternehmen hin zu mehr Souveränität. Auch wir bei der Telekom arbeiten selbst mit einer Multi-Cloud-Strategie.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten technischen Herausforderungen, die Europa im Jahr 2025 auf dem Weg in die digitale Unabhängigkeit bewältigen muss?

Damit Europa digital zukunftsfähig bleibt, braucht es eine massive Beschleunigung und Vereinfachung von Genehmigungs- und Förderprozessen, einheitliche Standards und gezielte Investitionen in Infrastruktur – von Rechenzentren bis KI-Chips. Wir brauchen einen starken Heimatmarkt, mutige Pilotprojekte und regulatorische Sandboxes für Innovation – und wir müssen – wie wir das bereits mit NVIDIA tun, industrielle KI-Clouds auf europäischem Boden errichten. Unsere gemeinsame KI-Fabrik soll schon Anfang nächsten Jahres an den Start gehen und vollausgebaut 10.000 GPUs haben. Das ist ein wichtiger Schritt hin zur ersten, deutschen KI-Gigafactory, die dann 100.000 GPUs haben wird. So schaffen wir eine leistungsfähige Infrastruktur für mehr Souveränität in Europa. Entscheidend ist aber auch der Nutzerwille: Unternehmen und Politik müssen bereit sein, souveräne Standards nicht nur zu fordern, sondern sie auch konsequent einzusetzen und als Leuchttürme voranzutreiben. So stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit Europas und setzen ein klares Zeichen für technologische Autonomie.

Vielen Dank für das Gespräch!

Artikel teilen: